Der Text stammt aus dem 17. Jh.v.Chr. und geht
vermutlich auf Traditionen einer alten Vorlage aus der Zeit der 5.Dynastie
zurück. Anfang und Ende des Textes sind leider verlorengegangen. Die
Legende von der Geburt der Königskinder beschreibt den Wechsel von der
4. zur 5.Dynastie. Mit der 5.Dynastie nimmt auch die Verbreitung des
Re-Kults zu. Die neuen Dynastien legitimierten damit ihre göttliche
Abstammung. Die Erzählung wurde in die Zeit Chufus verlegt, weil er
für den Erzähler der Prototyp des allmächtigen Königs der Alten Zeit
ist.
“Als Chufu König in Ägypten war, langweilte
er sich oft. Seine Söhne, Freunde und Beamten mußten ihm oft Märchen
und Geschichten erzählen, um seine Langeweile zu vertreiben. Da erzählte
ihm eines Tages sein Sohn Djedefhor von dem Manne Djedi, der in dem
Rufe stand, Tote wieder beleben zu können und selbst das Geheimnis der
Kammern des Thot zu kennen. Djedi war zu dieser Zeit zwar schon einhundertzehn
Jahre alt, verfügte aber immer noch über einen gesunden Appetit und
ungeheure Kräfte. Als Chufu von diesem Manne gehört hatte, beschloß
er, sofort nach ihm schicken zu lassen. Er beauftragte seinen Sohn Djedefhor,
den Wundertäter an den Hof in die Residenz zu holen. Da fuhr Djedefhor
mit Schiffen nilaufwärts bis zur Pyramide des Snofru, wo er anlegen
mußte, um zur Wohnstätte des Djedi zu gelangen. Den letzten Teil der
Reise legte er mit dem Tragstuhl zurück, denn für einen Sohn Pharaos
war es sehr unüblich, einen Weg zu Fuß zurückzulegen. Nach der ehrfurchtsvollen
Begrüßung lud Djedefhor den Alten in wohlgesetzten Worten in die Residenz
des Cheops ein. Dieser nahm die Einladung an und folgte dem Befehl des
Cheops, nachdem ihm für seine Bücher und Schüler, die er nicht missen
wollte und für die auf dem Boote des Djedefhor kein Raum war, ein besonderes
Schiff zugebilligt worden war. Nachdem sie in der Residenz des Chufu
angelangt waren, ließ Chufu voller Ungeduld den berühmten Mann bald
vor sich laden. Er prüfte die wunderbaren Kräfte des Weisen, indem er
ihm befahl, eine Gans, einen Storch und ein Rind wiederzubeleben, denen
er die Köpfe hatte abschlagen lassen. Djedi ließ die Tiere wieder lebendig
werden, hatte es aber abgelehnt, den frevlerischen Wunsch des Chufu
zu erfüllen, seine Wunderkräfte an einem Menschen zu erweisen. Ferner
hatte er auch noch einen wilden Löwen nur durch seine Worte gebändigt
und folgsam gemacht. Endlich aber verlangte Chufu, Djedi solle ihm das
Geheimnis der Kammern des Thot offenbaren, denn er war im Begriffe,
sich sein Grabmal zu erbauen. Als er diesen Wunsch des Chufu vernommen
hatte, richtete sich Djedi auf und sagte dem Pharao, daß er ihm diesen
Wunsch nicht erfüllen könnte. Aber ein anderer würde das Geheimnis lüften.
Denn diese Kiste aus Heliopolis, die die Geheimnisse barg, würde das
älteste Kind der Ruddedet bringen, das aber noch nicht geboren sei.
Darauf wollte Chufu wissen, wer denn diese Frau sei. Da offenbarte ihm
denn Djedi, daß Ruddedet die Frau eines Re-Priesters aus Sachbu sei,
die mit drei Kindern des Re schwanger ginge. Re aber habe verheißen,
daß zwei dieser Kinder einstmals das Hirtenamt des Königs in Ägypten
erben würden, und einer sollte Hohepriester des Re in Heliopolis werden.
Da erschrak Chufu, denn er hatte gehofft, daß nach ihm seine Kinder
den Thron erben würden. Djedi tröstete ihn und sagte, daß die Söhne
des Re erst nach seinem Enkel den Thron besteigen würden. Als Chufu
dieses gehört hatte, befahl er, daß Djedi fortan in dem Palaste seines
Sohnes Djedefhor wohnen und wie ein Glied der königlichen Familie gehalten
werden sollte. Da nun die Tage des ersten Wintermonates nach diesen
Wundern herannahten, traten bei Ruddedet die Wehen ein. Als Re sah,
wie schwer die Geburt seiner göttlichen Kinder sein würde, sandte er
die Göttinnen Isis, Nephtys, Heket und Mesechnet mit dem Gotte Chnum
zu der Kreißenden, damit sie ihr beistünden. Diese nahmen die Gestalten
von wandernden Tänzerinnen an, als sie sich dem Hause des Rawoser in
Sachbu näherten. Dieser verharrte sorgenvoll vor seinem Hause, weil
er sich keinen Rat wußte, wie seiner Frau zu helfen war. Die Göttinnen
aber traten in das Gemach der Ruddedet und verschlossen hinter sich
die Türen. Isis stellte sich vor die Kreißende, Nephtys hinter sie,
und Heket stand ihr zur Seite, um die Geburt zu beschleunigen. Da wurden
unter dem Spruch der Isis die drei Knaben Userkaf, Sahure und Keku geboren.
Sie trugen aber schon ihr goldenes Namensschild mit den Königsnamen
und den Kopfschmuck aus Lapislazuli, als sie aus dem Mutterleibe traten.
Mesechnet aber sprach über jedem den Segen: "Ein König, der das Herrscheramt
in dem ganzen Lande ausüben wird." Chnum aber verlieh allen Knaben einen
gesunden Leib. Danach verabschiedeten die Götter sich auch von Rawoser
und wünschten ihm und seiner Frau Glück. Rawoser aber machte ihnen einen
Sack Gerste zum Geschenk, die Chnum tragen mußte. Nach einer kurzen
Wegstrecke aber fiel ihnen ein, daß sie den Kindern kein Taufgeschenk
gegeben hatten. Sie schufen daraufhin drei goldene Kronen, verbargen
sie in dem Sacke und ließen ein Unwetter aufkommen, das ihnen den Grund
zu einer Umkehr in das Haus des Rawoser gab. Sie baten den Rawoser,
ihnen den Sack aufzubewahren, bis sie nach einiger Zeit kommen wollten,
um den Sack wieder zu holen. Es begab sich nun, daß Ruddedet nach ihrer
Reinigung wieder die Haushaltsführung übernahm. Als sie nun einmal feststellte,
daß sich im Hause kein Korn fand, fiel der Magd aber der Sack mit dem
Gerstenkorn ein, den die Geburtshelfer untergestellt hatten. Ruddedet
ließ die Magd Getreide aus dem Sacke nehmen, weil sie meinte, die benötigte
Menge Kornes wieder ersetzen zu können. Dabei wurde ihr das Geheimnis
der Göttinnen offenbar, denn aus dem Sacke drang solche Musik, wie sie
vor Pharao dargeboten wird. Als Ruddedet nun erfuhr, welcher Segen auf
ihren Kindern ruhen würde, feierte sie mit ihrem Manne ein Fest. Ihre
Dienerin aber, die wenig später, von ihrer Herrin gestraft, sich aufmachte,
um diese Kunde dem König Chufu zu hinterbringen, wurde von einem Krokodile
verschlungen, als sie sich niederbeugte, um Wasser zu schöpfen.“
Papyrus Westcar, P.3033, Papyrus-Sammlung der
Staatlichen Museen zu Berlin. A. Erman, Die Märchen des Papyrus Westcar,
Berlin 1890; E. Brunner-Traut, Altägyptische Märchen, Düsseldorf-Köln
1963, Nr.3.
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